VHS Badener Urania






Festvortrag von Bgm. a.D. Prof. Mag. August Breininger
anlässlich der Jubiläumsveranstaltung „100 Jahre Badener Urania“
im Arnulf Rainer Museum/Frauenbad am 10. November 2023:

BreiningerAristoteles sagt: „Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen!“ („Pantes anthropoi tou eidenai oregontai physei …“)

Dieser Satz stammt aus seiner „Metaphysik“ (= erste Philosophie), welche allen anderen Wissenschaften übergeordnet ist. In diesem Lehrsatz des antiken Polyhistors, Schüler des großen Plato und damit auch dessen Lehrers Sokrates, ist bis heute alles enthalten, was sich das abendländische Bildungswesen, die Wissenschaft, die Erwachsenenbildung und damit auch die URANIA-Bewegung zum Ziel gesetzt hat: Nicht nur die Neugier, sondern auch die Erforschung der Gründe von Wissen!

Bei Aristoteles entspringt das Streben nach Erkenntnis der Liebe zur Weisheit und der Freude des Menschen am Funktionieren seiner Sinnesorgane, auch wenn kein unmittelbarer Gewinn damit beabsichtigt ist. 2.000 Jahre später formuliert der englische Staatsmann, Philosoph und praktische Empirist Francis Bacon die neuzeitliche Befreiung des Menschen aus den Fesseln der Tradition und des Mythos aufklärerisch und deutlich so: „For knowledge itself is power“, auf Lateinisch damals „scientia est potestas“ oder zu deutsch klar und deutlich: „Wissen ist Macht“!

Aus der ideellen Überlegung der Sokratiker wurde ein Aufruf zur Nützlichkeit der Wissensanwendung, aus Freude an neuer Erkenntnis wurde ein „Käfig der Zwecke“. Es schlug die Geburtsstunde des Kapitalismus, der Naturbeherrschung durch neue Technologien und neue Wissenschaften.

Unter dem Schlachtruf „Erkühne dich, weise zu sein“ begann das gebildete Bürgertum einen Siegeszug ohnegleichen und die Naturwissenschaften brachten der neuzeitlichen Menschheit unglaubliche Fortschritte in Medizin, Physik, Astronomie, Wirtschaft und Demokratie bis an die Grenzen der Vernunft. Denn: „Bildung macht frei“ und „Wissen ist Macht“ bedeutet im Effekt auch grenzenlose Freiheit und Macht über andere!

Erst Immanuel Kant als Vollender und Überwinder der Aufklärung lehrte uns, mit unserer Vernunft sorgsam und ethisch umzugehen und der bedeutende Soziologe Max Weber als Begründer der modernen protestantischen Ethik zeigte die Gefahren der Kanäle der Macht auf und forderte von der Wissenschaft Verantwortungsbewusstsein bei aller Kreativität ein. „Schlag nach bei Max Weber!“ wäre wohl heute wieder am Platz bei unserer gegenwärtigen heißen Debatte um die Künstliche Intelligenz! Keine Sorge: Vorgefertigte lexikale Texte gab es schon immer. Sie alle wurden von Menschen gemacht und erklärt!

Doch zurück zum aktuellen Anlass des 100. Jahrestages der Gründung unserer Badener Urania:

Das Jahr 1923, das 5. Jahr der noch sehr jungen I. Republik, ermutigte wiederum, wie zur Zeit der amerikanischen und der französischen Revolution (1776 und 1789), die österreichischen Erfinder, Wissenschafter und Bürger nach 600 Jahren Monarchie, auf den Verfassungsfortschritten nach der Revolution 1848, 1861 (Februarpatent) und 1867 (Errichtung der Bezirkshauptmannschaften) aufzubauen und unsere Gesellschaft selbst zu organisieren. Alles Folgen der selbstorganisierten Gesellschaft. Es entstanden weiterhin bürgerliche Vereine, Verbände, Verbindungen, Bildungsstätten, darunter meist Schulen und auch Zentren für die Erwachsenenbildung. Die „Goldenen 20-er Jahre“ bringen den Siegeszug des Radios, den Schilling als Währung, aber auch Börsenkrach und Wirtschaftskrise, die Gründung der Salzburger Festspiele, die unter Umständen auch Badener Spiele hätten werden können, weil Max Reinhardt 1873 hier geboren wurde. Und sie brachten noch Grösseres: Die österreichische Bundesverfassung 1920 mit ihren Novellen 1925 und 1929 unter entscheidender Federführung Hans Kelsens.

Exkurs zur Badener Lokalgeschichte: 1919 wurde Josef Kollmann für zunächst 19 Jahre (mit kurzer Unterbrechung als Finanzminister) erstes christlich-soziales Stadtoberhaupt im 20. Jahrhundert. Die Geldentwertung explodierte, eine Theaterkarte kostete 120.000 Kronen, ehe 1923 der „harte Schilling“ als Alpendollar stabil wiederkam. Kurswert am 1.3.1925: 1 Schilling=10.000 Kronen. Bundespräsident Hainisch besuchte die Heimatstadt seiner Mutter Marianne und das Strandbad entstand 1926 in einer unglaublichen Bauzeit von nur 16 Wochen. Die ersten Nazi-Störtrupps tauchen auf. Aber die Gründung der Urania ist in Vorbereitung.

Die bereits 1897 gegründete Wiener Urania begann nach dem 1. Weltkrieg in NÖ eine größere Anzahl von Zweigstellen zu errichten, welche im österreichweiten Urania-Verband zusammengeschlossen wurden. Die bereits in den Statuten angelegte Expansion der Wiener Urania wurde durch die Faktoren Finanzkraft, örtliche Unterstützung der Honoratioren, Attraktivität und Novität der Lichtbildvorträge und Urania-Filme gesellschaftlich befördert.

Zum Motiv „Welt und Raum“ unserer Urania-Zeitung: Baden bei Wien mit seinem wunderschönen, gottlob noch heute verwendeten Urania-Logo mit Bezug zur begriffshistorischen Herkunft der Bezeichnung Urania vom Namen der griechischen Muse der Astronomie, eben „Welt und Raum“ genannt und so gestaltet, befindet sich mit seiner Gründung unter den ersten Städten der nö. Zweigstellen, gemeinsam mit St. Pölten, Klosterneuburg, Bruck/Leitha, Hollabrunn, Tulln, Retz, Mistelbach und Melk. In Krems gab es Widerstand seitens des Volksbildungsvereines.

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Im Hotel-Restaurant Petter-Brusatti, heute Hotel Artner, Kaiser Franz Josef Ring 15, fand am 17. Oktober 1923 die Gründungsversammlung der Badener Urania statt. Erster Obmann wurde Sen.Präs. HR Dr. Burkart, 1. Stv. HR Zeiner und Fl. Lukas 2. Stv. Bereits 1925 übernahm HR Zeiner mit RA Dr. Meixner bis 1927 die Obmannschaft. Dr. Meixner leitete sodann von 1927 bis 1934 den Verein, ehe der Badener Gymnasialprofessor OSTR Dr. Kraupp (später in Pension dann Redaktionsleiter der Badener Zeitung in der Pfarrgasse) diesen von 1934 bis 1938, also bis zum Anschluss führte. In seine Obmannschaft fallen übrigens zwei spektakuläre Weinheber-Dichterlesungen. Am 16.3.1938 fand der letzte Film-Vortrag vor der befohlenen Auflösung vieler Vereine durch das neue Regime statt. Margareta Kulda berichtet in ihrer Broschüre „80 Jahre Badener Urania“ von der erzwungenen Ablieferung allen Hab und Gutes. Nach mehr als zehnjähriger Pause präsentiere sich unsere Urania als erste in Niederösterreich, und als dritte in Österreich (nur Wien und Graz waren rascher) mit neuem, bis heute geltendem Statut nach dem 2. Weltkrieg. Erster Vereinsobmann der 2. Republik wurde der Gymnasialprofessor für Englisch und Deutsch Dr. Hans Macha, sein Gf. Amtsrat Kobl. Vereinssitz wurde die Adresse Grabengasse 21. 1954 übernahm OLGR Dr. Max Straßner die Obmannschaft, zwei Jahre später schon begann die Ära von Ing. Zimmermann mit dem Langzeitgeschäftsführer Ing. Wesolofsky (bis 1972). Das „Heim der Kunst“ wurde bis 1991 neuer Vereins- und Veranstaltungssitz. (Persönl. Anm.: In meinem Maturajahr 1962 fanden 46 Veranstaltungen, 4 Exkursionen, 15 Abende der Astronomischen Arbeitsgemeinschaft unter Prof. Hruby statt).

920 x 608 Pixel / 708,48 KBZuvor schon brachte das Jahr 1956 eine markante Wende und Erweiterung der Badener Erwachsenenbildung: Der Gymnasialprofessor für Deutsch und Geschichte Mag. Viktor Wallner gründete die „Volkshochschule der Gesellschaft der Freunde Badens“ mit Sitz in der Pfarrschule. Somit besitzt Baden seither gleich zwei Volkshochschulen, die VHS Urania und die VHS Ges.F.B., welche beide dem NÖ. VHS-Verband angehören und ihre Unterrichtsfelder bis heute so aufteilten: Die Urania veranstaltet ausschließlich Einzelvorträge, die VHS alle Kurse und Lehrgänge. Heute domiziliert die VHS in der Pergerstrasse im „Haus der Erwachsenenbildung“, die Urania beim Johannesbad im „Theater am Steg“.

3800 x 2320 Pixel / 10,67 MBAls bisheriger „Rekordobmann“ ging OSTR Prof. Dr. Wilhelm Martschini in die lokale Bildungsgeschichte ein: Er amtierte durchgehend von 1972 bis 1994, also ganze 22 Jahre, begleitet von seinem getreuen Stv. ORR Kernbeis, und mit der beeindruckenden Leistungs-Bilanz von 736 Vorträgen, 193 Filmabenden und 91 Exkursionen. 1995 bis 2004 fungierte der Leiter des Rollett-Museums Dr. Rudolf Maurer als Obmann und führte u.a. die beliebten „Badener Spaziergänge“ ein.

Die langjährige Vorstandsfunktionärin und Schuldirektorin der HBLA Dr. Margareta Kulda bildete für 6 Monate im Jahr 2004 den Übergang zur Obmannschaft von Vbgm. a.D. Ing. Prof. Julius Böheimer (2004 bis 2007), welcher ab 2007 bis 2011 wieder von einem Gymnasialprofessor (Mathematik und Philosophie) der Biondekgasse abgelöst wurde, von Dr. Wolfe Wechtl. Als neuer und erfolgreicher Langzeitobmann empfiehlt sich aktuell STR Prof. Hans Hornyik, welcher seit 2011 bis heute die Geschicke der Urania, seiner Mitglieder und seines fleißigen Vorstandes leitet.

Besondere Erwähnung verdient indes die seit der Gründung vor rund 70 Jahren bestehende „Astronomische Arbeitsgemeinschaft“ mit ihren hervorragenden wissenschaftlichen Leitern HR Prof. Eugen Hruby, OSTR Prof. Rudolf Gamauf, Ing. Gerhard Baumgartner und dzt. Norbert Ruttner.

Auffallend markant sticht dem Lokalchronisten die Vielzahl der Pädagogen aus dem BG und BRG Biondekgasse ins Auge, die ihre Kraft der Erwachsenenbildung als solche widmeten: Für die Urania, die VHS und die Externisten-Matura für zeitverpflichtete Soldaten der Garnison Martinek-Kaserne: So etwa die Mittelschullehrer Sulzenbacher, Kraupp, Christel, Zeugswetter, Wallner, Hruby, Gamauf, Macha, Hlavacek, Bazant-Hegemark, Czemetschka, Fleischmann, Bernart, Larsen, Schaffranek, Sziruscek, Wechtl, Wiesmann u.a.m.

Abschliessend und zusammenfassend sei gesagt, dass die Geschichte der Badener Urania ein wirkliches Zeugnis von Emanzipation der Erwachsenenbildung darstellt, die ihren vielen treuen Mitgliedern und Hörern seit 100 Jahren die Sinnfrage unseres Lebens im Sinne von Fromm und Frankl vor Augen führt und uns Badenern klarmacht, wie wichtig der persönliche Vortrag von Mensch zu Mensch in digitaler Zeit geworden ist und auch in Zukunft sein wird.

Davon bin ich als Badener, ehemaliger VHS-Funktionär und Vortragender seit 15 Jahren überzeugt. Zur Debatte steht nach wie vor die Bildung, wobei Herzensbildung vor Ausbildung und Ökologie vor Ökonomie rangiert. Wie sagte doch der erste Generalintendant des reformierten ORF Gerd Bacher so treffend: Das Rüstzeug für die Zukunft liegt im Motto: Lernen, lernen, lernen! Lesen, lesen und wieder lesen! Gerade in einer Stadt des Buches und der Literatur wie Baden!

Ich hatte die Ehre, ein Vorwort zur Festschrift von Margareta Kulda zum 80. Geburtstag unserer Urania vor 20 Jahren als damaliger Bürgermeister zu verfassen. Es schloss mit einem Glückwunsch für die nächsten 80 Jahre. Heute darf ich diese Wünsche erneuern, sie aber für die nächsten 100 Jahre ausdehnen:

Es lebe die Urania Baden! Vivat, crescat, floreat, Urania nostra!


1972 x 2838 Pixel / 5,26 MBVon der Festschrift zum 80-jährigen Bestandsjubiläum der Badener Urania sind noch Restexemplare vorhanden und können gegen eine Spende angefordert werden.

Margareta Kulda hat darin eine sehr ausführliche Geschichte der Badener Urania verfasst, die mit historischen Bildern und Beiträgen versehen ist.

Der damalige Obmann Dr. Rudolf Maurer, Ehrenobmann Dr. Wilhelm Martschini und der damalige Bürgermeister Prof. August Breininger schrieben Grußworte zum 80-jährigen Bestandsjubiläum.